«Die Folgen werden verheerend sein»

Mac Darrow, Repräsentant des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte, warnt davor, weiter in schlechte Infrastruktur zu investieren. Er fordert unter anderem, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, welche Risiken mit großen Projekten verbunden sind, die Menschen vor Ort unbedingt miteinzubeziehen und vor allem die Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens einzuhalten.

Denkt man an den Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR), dann fällt einem als Erstes nicht eben das Thema Infra-struktur ein. Was genau tun Sie?

Böll.Thema_Infrastrukturen_Illustration Marc Darrow

Der Menschenrechtskommissar und die menschenrechtlichen Organe der UNO beschäftigen sich schon lange mit dem Thema Infrastruktur. Allerdings geschieht dies «nachgelagert», das heißt, wir antworten auf Schäden und Leid. Wir unterstützen indigene Bevölkerungsgruppen und andere Menschen, denen aus bestimmten Projekten Nachteile erwachsen. Wir helfen ihnen, dass der Schaden wiedergutgemacht wird oder sie entschädigt werden.

Riesige Infrastrukturprojekte können zu Menschenrechtsverletzungen führen – gleichzeitig braucht die Welt dringend bessere Infrastruktur, um Menschenrechte zu sichern. Wie können wir mit diesem Paradox umgehen?

Bei den Beratungen, welche dem ­kürzlich erschienenen Bericht des UN- Menschenrechtskommissars und der Heinrich-Böll-Stiftung vorangingen, wurden folgende Aspekte als entscheidend benannt. Erstens: Man darf weder davon ausgehen, dass größer immer besser ist, noch soll der Zuschlag automatisch an die Privatwirtschaft gehen. Zweitens: Es muss äußerst transparent gehandelt und alle Betroffenen müssen angehört werden – und das von Beginn an. Und nicht allein zu den konkreten Projekten, sondern auch, was deren Finanzierung und die Verträge über Investitionen betrifft. Drittens: Menschenrechtliche Gesichtspunkte müssen – mit der gebührenden Sorgfalt und von Anbeginn an – Teil aller Entscheidungen und Teil des Risikomanagements sein. Dasselbe gilt für die Prüfung aller ökologischen und sozialen Folgen. Viertens: Es muss dafür gesorgt werden, dass  – öffentlich abgestimmte – Infrastruktur-projekte im Einklang stehen mit den Klimazielen des Pariser Abkommens. Fünftens: Es muss dafür gesorgt werden, dass menschenrechtliche und ökologische Gesichtspunkte fester Bestandteil der Kosten-Nutzen-Analyse sind sowie als feste Messgrößen in der Umweltfolgenabschätzung und der Projektsteuerung verankert sind. Und sechstens: Es muss klar sein, wer für Personen- und Umweltschäden verantwortlich und haftbar ist.

Sie erwähnten den kürzlich erschienenen Bericht «The Other Infrastructure Gap: Sustainability», in dem es um Menschenrechte und Nachhaltigkeit bei großen Infrastrukturprojekten geht. Was sind für Sie die Kernpunkte dieses Berichts?

Für mich sind es vor allem zwei Gesichtspunkte: Gute Infrastruktur ist erstens eine Grundvoraussetzung für Menschenrechte und Nachhaltigkeit. Dieses Potential von Infrastruktur lässt sich aber zweitens nur umsetzen, wenn menschenrechtliche Gesichtspunkte auf drei Ebenen berücksichtigt werden: nämlich bei der Planung, bei der Umsetzung – was Beschäftigte und  Nutzende angeht – und was den großen politischen Rahmen betrifft.

In der Studie geht es um die menschenrechtlichen und die ökologischen Folgen großer Infrastrukturprojekte. Wie verhalten sich diese beiden Aspekte zueinander?

Die Studie bestätigt die Annahme, dass zwischen menschenrechtlichen und ökologischen Gesichtspunkten ein enger Zusammenhang besteht. In der Praxis, wie auch im Prinzip, gibt es jedoch Zielkonflikte und Widersprüche. Beispielsweise kam es bei der Wiederaufforstung (REDD) manchmal zu Verstößen gegen die Rechte Indigener, während andererseits die Menschenrechte nichts über die Grenzen des Konsums besagen. Da jedoch die Rohstoffe rasch schwinden und die Welt unsicherer wird, arbeiten Umwelt- und Menschenrechtsaktivist/innen immer öfter zusammen. Mehrere UN-Menschenrechtskommissare haben darauf hingewiesen, dass der Klimawandel die größte Bedrohung für die Menschenrechte darstellt. In unserer Veröffentlichung wird, so hoffen wir, deutlich dargelegt, warum das Abkommen von Paris fester Bestandteil aller Infrastrukturmaßnahmen sein muss – von der Planungsphase über die Umsetzung bis hin zur Außerbetriebnahme.

Was sind für Sie, aus menschenrechtlicher Sicht, die Unterschiede zwischen öffentlichen und privatwirtschaftlichen Projekten?

Öffentliche Projekte können sich ebenso nachteilig auf die Menschenrechtslage auswirken wie privatwirtschaftliche. Unsere Studie hat jedoch gezeigt, dass sich die Annahme, Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) seien am besten, so nicht aufrechterhalten lässt. Das sieht man daran, dass selbst in den Industriestaaten viele ÖPPs scheitern, weil die Budgets überschritten werden oder die Verträge zu große Risiken für den Haushalt bergen – was sich auch daran zeigt, dass in vielen Teilen der Welt die Wasserversorgung wieder von den Kommunen übernommen worden ist.


Mac Darrow leitet die Abteilung für Millenniums-Entwicklungsziele beim Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte (UN/OHCHR).

Interview: Sebastian Duwe

This article is licensed under Creative Commons License